Dezember 2016

Vor drei Monaten hat Amorelie, der Online-Sexshop für noch mehr Spaß am Liebesleben, neue Räume im Berliner Brunnenviertel bezogen ­– das alte Büro am Paul-Lincke-Ufer war aus allen Nähten geplatzt. Dort, wo vor mehr als hundert Jahren AEG und Siemens Berlin zur Industriestadt machten, ist damit nach Jahren des Stillstands neues Leben eingekehrt. Das Gelände ist mit Firmen wie der Deutschen Welle, Fachbereichen der Technischen Universität und Startups wie Amorelie zum Technologie- und Innovationspark geworden. Die Räume, in denen Lea-Sophie Cramer zum Gespräch empfängt, atmen den Geist des Neuen. Auf 1.400 Quadratmetern bietet das helle, offene Büro ihrer Firma Platz zum Wachsen.

Man hat das Gefühl, dass die Amorelie-Geschäftsführerin hier angekommen ist. Bis zur Unternehmensgründung war ihr Leben einer hohen Taktzahl gefolgt: Auslandsjahr in Amerika, Internat in England, BWL-Studium in Mannheim, Startup-Job in Berlin und Beraterin bei der Boston Consulting Group (BCG). Geprägt war dieser Weg davon, immer ins kälteste Wasser zu springen, um die eigenen Stärken zu entdecken. Schon früh pflegte die gebürtige Berlinerin, der bereits bei BCG eine eigene Gründung nahegelegt wurde, Verbindungen zur Startup-Szene. So kam es, dass sie nach wenigen Monaten als Beraterin Rocket Internet CEO Oliver Samwer – “ist eh ganz spannend, den mal kennenzulernen” – treffen konnte. Aus dem Gespräch ging die damals 23-Jährige mit vier Job-Angeboten heraus. Täglich hakte Samwer nach, bis sie sich dafür entschied, den Schritt ins Ungewisse zu wagen und Groupon in Asien zu etablieren: “Ich fand es super spannend, dass ich nicht wusste, was sich dahinter verbirgt. Es klang so verrückt, dass ich dachte, es ist genau das Richtige.”

Hatte Cramer anfangs noch gezweifelt, worin ihre Stärken lagen, so wurde nun klar, dass diese keine Lehrbuch-Fähigkeiten waren, sondern in ihrer Risikobereitschaft lagen, ihrer Lust auf Herausforderungen und Veränderungsprozesse. Nach fast drei Jahren führte sie 1.200 Mitarbeiter in elf asiatischen Ländern und wagte 2012 – bei Groupon hatte sie sich das Handwerkszeug dafür angeeignet – mit der Gründung von Amorelie erneut Neues. Cramer und ihr Mitgründer Sebastian Pollok setzten sich im Zuge des Erfolgs von 50 Shades of Grey zum Ziel, den Verkauf von Erotikartikeln aus der Schmuddelecke zu holen und eine anfangs dezidiert weibliche Nachfrage zu bedienen. Zu der Branche mussten die Kontakte aber erst noch hergestellt werden: “Wir haben total hemdsärmelig angefangen und dadurch, dass wir keine Produkte hatten, haben wir in einem Laden am Hackeschen Markt offline eingekauft – und dann online verkauft.” Mittlerweile ist Amorelie der größte Abnehmer mancher Marken und beschränkt sein Angebot längst nicht mehr nur auf Sextoys. Ziel der Firma ist es, von Lovetoys über Dessous und erotische Literatur bis hin zu Massage-Ölen alles anzubieten, was das Liebesleben von Frauen und Paaren bereichert.

In nur vier Jahren haben Cramer und Pollok ihren Online-Shop zur Profitabilität geführt und damit zum Aushängeschild eines Bereichs gemacht, der mit Startups wie UnderCovers, Einhorn oder Ohlala immer dynamischer wird – “du merkst einfach, dass es da gerade eine ganz neue Bewegung gibt, und das ist total großartig!” Nicht zu unterschätzen ist laut Cramer auch der gesundheitliche Aspekt dieser Bewegung, etwa auf dem Gebiet Female Health: “Das ist ein Thema, wo wir wirklich mehr machen wollen, und da werden wir uns auch in den nächsten Jahren positionieren.” Unterstützt wird Amorelie auf diesem Weg von ProSiebenSat.1 Media, seit 2015 Besitzer von 75% der Unternehmensanteile. Gerade während dieser Übernahme-Verhandlungen, welche das Führungsteam der Firma Tag und Nacht arbeiten ließen, wurde Lea-Sophie Cramer vor eine unerwartete Herausforderung gestellt.

Mindmap DWOMEN Lea-Sophie Cramer

Als die Verhandlungen mit ProSieben kurz vor dem Abschluss standen, merkte Cramer beim täglichen Team-Abendbrot, dass etwas nicht stimmte: “Ich habe gegessen wie ein Scheunendrescher.” An einem Freitag erfuhr sie schließlich von ihrer Schwangerschaft, am Montag darauf wurde der Deal abgeschlossen. Bei der anschließenden Party mussten Sekt und Schnaps über die Schulter gekippt werden, bevor Co-Gründer Pollok mit der Nachricht konfrontiert werden konnte. Schnell wurde beschlossen, den neuen Lebensabschnitt wie eine Unternehmensgründung anzugehen und einen optimalen Plan zu entwerfen. “Ich wollte bis zum Schluss arbeiten, dann für drei Monate zuhause bleiben und danach mit meinem Kind ins Büro kommen.” Am Ende konnte dieser Plan, auch dank eines Au-pair-Mädchens und des Amorelie-Teams, tatsächlich umgesetzt werden.

Dass dies durchaus ein Privileg ist, dessen ist sich auch die Mutter eines nun einjährigen Sohnes bewusst. Viele Arbeitnehmer können ihre Kinder nicht mit zur Arbeit bringen und bekommen Karriere und Elterndasein in herkömmlichen Unternehmensstrukturen nur selten unter einen Hut. “Es ist ein Wunsch von mir, dass sich da Mütter und Väter mehr trauen und mehr fordern. Ich finde, es ist eine Pflicht von den Eltern, für andere Arbeitsweisen und -kulturen einzustehen, diese auch zu fordern – und Arbeitgeber, die das nicht anbieten, knallhart abzulehnen.” Spätestens, seit sie selbst Mutter ist, stoßen solche Ideen und Vorschläge bei der Arbeitgeberin Lea-Sophie Cramer, die sich sehr viel mit alternativen Konzepten der Unternehmensführung beschäftigt, auf fruchtbaren Boden.

Hier hat die Auszeit nach der Geburt ihres Kindes zu einem Wandel geführt. “Ich habe davor sehr viel dominiert und wollte immer selbst die Lösung finden, jetzt möchte ich für meine Mitarbeiter Modelle finden, mit denen sie ihre Möglichkeiten und Potenziale entfalten können.” Mit der Gründung von Amorelie ist für die digitale Durchstarterin Lea-Sophie Cramer “alles irgendwie zusammen gekommen”. Ihr Weg dahin war gezeichnet davon, nicht krampfhaft aus Schwächen Stärken machen zu wollen, sondern stattdessen den Fokus auf die eigenen Stärken zu legen und diese auszubauen. Die Preisträgerin des Victress Awards und Vorbild-Unternehmerin des Bundeswirtschaftsministeriums sieht ihre Aufgabe nun darin, Menschen zu motivieren und ihnen dabei zu helfen, diesen Weg hin zu den eigenen Stärken selbst zu beschreiten. Denn, so die Botschaft der Amorelie-Gründerin an die DWOMEN: “Stärken muss man stärken!”

Ein Porträt von Max Duhr

Über die DWOMEN – platform for women in digital business:

MCB_D-WOMEN-Logo_quer-schwarzMit der Initiative DWOMEN laden Sonja Kardorf, Vorstandsmitglied der IBB, und Andrea Peters, Vorstandsvorsitzende des media:net, zwei Mal jährlich inspirierende Frauen aus der Digitalwirtschaft zum vernetzenden Frühstück. Impulse gaben bereits Joana Breidenbach, Stephanie Caspar und Verena Pausder. Am 3. November erzählte Lea-Sophie Cramer den DWOMEN ihre Geschichte. Die nächste Ausgabe findet im Frühjahr 2017 statt.