1. Frau Lompscher, die Stadt Berlin lebt von ihren kreativen Freiräumen, den unfertigen Brachen und improvisierten Nischen. Just diese Transformationsräume für Künstler, Musiker und Startups werden immer weiter verdrängt. Wie wollen Sie den Spagat meistern zwischen bezahlbaren, geförderten Wohn- und Büroräumen für junge Familien und Jungunternehmen auf der einen Seite und auf der anderen Seite den Forderungen der Immobiliengrößen, die zum Teil mit hohen Investitionen auch in die Kiez-Infrastruktur locken, wie beispielsweise am Pankower Tor?
    • Dort, wo wir Handlungsspielräume haben, werden wir sie nutzen. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind auch an dieser Stelle ein verlässlicher und vor allem wichtiger Partner für die Stadt. Die landeseigenen Gesellschaften fördern die kreative Szene, z.B. durch die Überlassung von Mietobjekten zu leistbaren Mieten. Die ehemalige Wiesenburg ist ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Senat, Bezirk und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Degewo. Gemeinsam wird hier ein Konzept entwickelt, das der kreativen Szene im Wedding auch nach der geplanten Sanierung des Areals einen festen Platz zusichert. Auch Genossenschaften, einzelne Private und gemeinnützig agierende Bauträger sind eine große Unterstützung. Sie schaffen und erhalten Wirkungsstätten für Künstler, Musiker oder Handwerker. Die Bezirke sichern über Bebauungspläne Flächen für die Kreativwirtschaft. Der Senat wird verstärkt über das kommunale Vorkaufsrecht nicht nur leistbares Wohnen sichern, sondern auch Gewerbemieterinnen und -mieter vor Verdrängung schützen. Darüber hinaus plant die Koalition eine Bundesratsinitiative für ein soziales Gewerbemietrecht.
  2. Im Koalitionsvertrag versprechen Sie die Schaffung von neuen, lebenswerten und durchmischten Stadtquartieren. Wie sollen diese aussehen, wo entstehen? Welche Rolle spielen dabei innovative Stadtplanungsmodelle und Online-Bürgerpartizipation?
    • Die neuen Stadtquartiere werden von Anfang an integrativ geplant und entsprechend gebaut. So entstehen nicht nur Wohnungen, sondern gleichzeitig technische, soziale und kulturelle und Infrastruktur, die auch an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Wir werden keine Schlafstädte schaffen, sondern Quartiere zu leben, in einem guten Miteinander von Wohnen, Arbeiten, Bildung und Freizeitaktivitäten. So entstehen urbane Quartiere mit ganz eigenem Charakter.
    • Bürgerbeteiligung ist mir in diesem Zusammenhang ein besonderes Anliegen. Nur wenn wir die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig in die Planung mit einbeziehen, Bebauungsvarianten aufzeigen und darüber hinaus den Mehrwert von Projekten für die Allgemeinheit darstellen, erreichen wir eine wirkliche Akzeptanz von Neubauprojekten. Auch das Thema Transparenz ist von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grund tagt ab sofort auch das Berliner Baukollegium öffentlich und die Berlinerinnen und Berliner können selbst Projekte vorschlagen, über die das Gremium beraten soll.
    • Genau wie sich Berlin dynamisch verändert, entwickelt sich auch das Stadtforum weiter. Um die zukünftige Entwicklung Berlins besser gemeinsam gestalten zu können, werden neue Diskussions- und Workshop-Angebote sowie begleitende Ausstellungen im intensiven Dialog ermöglichen. Erste Ergebnisse werden bereits in den Veranstaltungen an einer neuen Stadtforums-Mindmap sichtbar werden. Auch virtuelle Modelle, z.B. für die TXL-Nachnutzungspläne, werden der Öffentlichkeit in Zukunft verstärkt zugänglich gemacht. Und last but not least: Wichtig sind mir nicht nur regelmäßige Bürgersprechstunden, sondern auch die Online-Bürgerpartizipation. An dieser Stelle haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Viele hundert Menschen haben sich mit sehr guten Ideen an der Entwicklung der Berliner Mitte beteiligt. Diese Form der Bürgerbeteiligung soll in Zukunft noch stärker genutzt werden.
  3. Sie fordern für die Berliner Behörden einen Mentalitätswechsel und eine neue Verwaltungskultur. Wie setzen Sie das in Ihrer Behörde um? Sind die nicht-hierarchischen Startups mit ihren kurzen Entscheidungszyklen für Sie ein Vorbild?
    • Verwaltung ohne Hierarchien funktioniert nicht. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gehen wir mit öffentlichen Geldern um, die hier getroffenen Entscheidungen sind oft relevant für alle Berlinerinnen und Berliner. Da es geht um Haftungsfragen oder juristische Auseinandersetzungen über Bauprojekte in Millionenhöhe. Um hier gute Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen, brauchen wir qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte, die sachkundige Entscheidungen vorbereiten und Verantwortung übernehmen. Was wir ändern müssen, ist unsere Herangehensweise an die Dinge. Wir müssen hierarchiefrei denken und setzen das schon heute durch das Arbeiten in Projektstrukturen um, die keinen Hierarchien folgen. Insofern, ja, Start-Ups bieten eine Orientierung bis zur Entscheidungsfindung – aber nicht für die Entscheidung selbst.

 

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Datum: 16.06.2017