1. Herr Krüger, die Channel Music GmbH sagt vielen Berliner Kulturfans wahrscheinlich weniger als die Namen der einzelnen Locations, die zu Ihrem Portfolio gehören. Geben Sie unseren Leser*innen doch mal einen Überblick, welche Häuser von Ihnen neben dem Quasimodo betrieben werden und welches Konzept die Channel Music GmbH verfolgt!
    • Wir sind gastronomischer Betreiber des Quasimodo, Huxleys, des im Jahre 2019 wiedereröffneten Metropol Berlin sowie des von Trinity Music veranstalteten Citadel Music Festivals auf der Zitadelle Spandau. Dazu hatten wir eigentlich im letzten Sommer geplant unsere neue Veranstaltungs-Location, das Hole 44 in Berlin Neukölln – das ehemalige Kino Globus in der Hermannstraße–, nach über dreijährigen Umbauarbeiten zu eröffnen. Diesbezüglich hat uns der Corona-Lockdown natürlich sehr hart getroffen.

       

    • In unseren Venues findet die ganze Bandbreite an kulturellen Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Comedy, Parties und Corporate Events statt – im Jahr 2019 ca. 1.000 Veranstaltungen mit bis zu 360.000 Besuchern. Aufgrund der unterschiedlichen Kapazitäten und Ausrichtungen unserer Venues können wir eine sehr große Bandbreite an Veranstaltungen bedienen.
  2. Mittlerweile sind diverse Veranstaltungen unter Hygieneauflagen wieder möglich, wenn auch noch sehr eingeschränkt. Welche Stimmungslagen herrschen momentan in Ihrem Unternehmen und generell im Veranstaltungssektor vor? Ist so etwas wie Aufbruchsstimmung spürbar?
    • Die Stimmungslage in unserer Branche und auch in unserer Berliner Fachgruppe – wir sind Teil der im November 2020 gegründeten spartenübergreifenden Fachgruppe Veranstaltungswirtschaft unter dem Dach der Berlin Music Commision e.G. – hat sich eigentlich kaum geändert. Die nicht nur von uns, sondern eigentlich von der gesamten deutschen Veranstaltungswirtschaft geforderte Planungssicherheit haben wir bis heute in keiner Form erhalten. Alle Bemühungen unserer Verbände, sowohl auf bundes- als auch landespolitscher Ebene darzulegen, dass Veranstaltungsräume infektionssicher gestaltet werden können, sind im Sande verlaufen. Jede Nachfrage in den letzten 16 Monaten nach einer möglichen Perspektive, ab wann Livemusikveranstaltungen und Tanzlustbarkeiten – das Wort Tanzlustbarkeit erklärt eigentlich schon ausreichend den Stellenwert der Musik- und Clubkultur in Deutschland – und andere Veranstaltungen wieder ohne Auflagen möglich sein würden, blieb entweder unbeantwortet oder wurde an die breite Verfügbarkeit eines Impfangebotes geknüpft. Und selbst jetzt, da die Situation eines Impfangebotes für Jedermann erreicht ist, gibt es keinerlei verlässliche Perspektive. Geschweige denn bundeseinheitliche Regelungen. Welch lange Vorlaufzeiten für die Planung und Umsetzung von Veranstaltungen jedoch notwendig sind, haben wir ausführlich auf allen politischen Ebenen dargelegt.

       

    • Wie elementar bundeseinheitliche Regelungen sind, um das Livemusikgeschäft wiederzubeleben, das auf Tour-Planungen in Venues mit gleichgroßen Kapazitäten und Gegebenheiten basiert, auch. Trotzdem wird von Woche zu Woche, von Bundesland zu Bundesland individuell anders entschieden. Aktuell haben sowohl wir, als auch alle anderen betroffenen Gastronomie- und Veranstaltungsunternehmen die letzten zwei Wochen versucht aus der „vierten Verordnung zur Änderung der Dritten SARS-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung“ sowie dem anhängigen Hygienerahmenkonzept schlau zu werden und ich bin ehrlich: wir haben es nicht komplett geschafft – und wir machen seit über 16 Monaten eigentlich nichts anderes als diese Verordnungen zu studieren. Wie das die breite Bevölkerung verstehen soll, ist mir ehrlicher Weise ein Rätsel. Zumal die anstehenden Wahlen auf Bund- und Länderebene und die sich daran anschließenden Koalitionsverhandlungen für das Treffen „mutiger“ und „verbindlicher“ Entscheidungen im Sinne der Veranstaltungsbranche nichts Gutes erahnen lassen.
  3. Sie sagten im Vorgespräch, dass Sie sehr von der Soforthilfe IV des Berliner Kultursenats profitiert hatten. Welche anderen staatlichen Hilfen fanden Sie sinnvoll, welche nicht? Und wo wir ja am Montag bei Ihnen mit unserer High Noon-Reihe zu Gast sind: Welche Forderungen haben Sie als Location-Betreiber an die Berliner Politik für die nächste Legislaturperiode?
    • Ohne die Soforthilfe IV des Kultursenates würden wir heute dieses Gespräch sicherlich nicht mehr führen können. Diese Landeshilfen waren die einzigen Hilfen, die uns wirklich zeitnah und umfassend geholfen haben. Die Soforthilfe IV war die einzig verlässliche Perspektive in einer sehr unsicheren und düsteren Zeit. Hätten wir auf die Auszahlung der Bundesmittel, also November-, Dezember- oder Überbrückungshilfen II oder III gewartet, von denen wir bis Anfang Juni 2021 noch keine einzige erhalten hatten – und einige bis heute nicht! –, wären wir sicherlich vorher in sehr große finanzielle Schwierigkeiten geraten.

       

    • Die Erlebnisse der letzten Monate in Bezug auf diese Anträge und Prüfungen würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Das kann ich im Nachgang sicherlich mal in einem Buch verarbeiten. Die Erfahrung aber, monatelang auf einen positiven Hilfsbescheid zu warten, der an die Ermessensentscheidung eines externen Projektbearbeiters geknüpft ist, an dem dann die gesamte Existenz des Unternehmens und aller Mitarbeiter hängt, während die monatlichen Kosten einfach weiterlaufen, kann man gar nicht beschreiben. Und wenn dann, wie in unserem Fall, auf Einwände und Widersprüche gegen Bescheide einfach keine Antworten erfolgen, man monatelang auf irgendeine Reaktion oder Bearbeitung wartet – dieses Ohnmachtsgefühl kann man eigentlich gar nicht in Worte fassen.

       

    • Eine Einschätzung der anderen staatlichen Hilfsprogramme wie Sonderfond Kultur oder Neustart Kultur würde an dieser Stelle auch zu lange dauern, aber unabhängig von allen Programmen ist das Wichtigste die fortlaufende Unterstützung in Bezug auf die laufenden Betriebskosten, bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir wieder uneingeschränkt und betriebswirtschaftlich sinnvoll arbeiten dürfen. Dafür bedarf es aber analog zum Freedom Day in UK eines verlässlichen und verbindlichen Zeitrahmens, an dem auch festgehalten wird, wenn sich die pandemische Lage aufgrund der Öffnungschritte wieder verschärfen würde. Und selbst dann wird es 2-3 Jahre dauern, bis die Veranstaltungswirtschaft wieder zu alter Stärke finden wird.

       

    • Der bereits jetzt bestehende, fundamentale Personalmangel in wirklich allen Bereichen der Gastronomie und Veranstaltungswirtschaft wird sich kaum in absehbarer Zeit beheben lassen. Viele Fachkräfte, aber auch vor allem saisonale Mitarbeiter*innen haben der Branche dauerhaft den Rücken gekehrt. Der Kampf um die übrig geblieben personellen Ressourcen wird ein finanzieller werden. Wie das aber alles nach über zwei Jahren pandemiebedingter Schließung zu finanzieren sein soll, weiß wohl im Moment noch niemand. Entsprechend wünschen wir uns als Venue-Betreiber vom nächsten Senat vor allem Mut zur Entscheidung, Verbindlichkeit und am allermeisten Kommunikation. Unsere Verbände und Fachgruppen vereinen wirklich die gesammelte Expertise des Marktes. Diese gilt es im Vorfeld von Entscheidungen sinnvoll zu nutzen.

 

August 2021

Bild: (c) Anika Berg, Photobären