1. Frau Prof. Brandhorst, das DE:HIVE der HTW Berlin verbindet auf völlig neue Weise Forschung, Lehre und Entrépreneurship miteinander. Heute wäre eigentlich die feierliche Eröffnung dieses 2.000qm großen Game Hubs gewesen, musste jedoch auf Grund der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise verschoben werden. Aber erzählen Sie uns doch schon jetzt einmal, was Sie dazu bewogen hat, dieses äußerst spannende Projekt zu entwickeln? Worauf können sich die Forscher*innen, Gründer*innen, Lehrende sowie insgesamt über 180 Studierende freuen?
    • Das DE:HIVE will Raum für das Thema Spiel schaffen, welches ich für eines der interessantesten und innovativsten Felder des 21. Jahrhunderts halte. Nicht allein, weil es inzwischen der größte Kultur- und Unterhaltungsmarkt ist, sondern weil ich glaube, dass wir in den Spielen vieles behandeln und verhandeln, was einen unmittelbaren Einfluss auf unser gesellschaftliches als auch auf unser persönliches Leben hat. Und gerade der Clash zwischen Kunst, Technik, Wirtschaft und den gesellschaftlichen Aspekten macht die Auseinandersetzung mit dem Spielemachen so spannend und als akademisches Thema so nötig.
    • Und doch: Wer das DE:HIVE betritt, findet sich in einem völlig unakademisch scheinenden Environment wieder – fröhlich, kooperativ und player-centered. Mit meinem Konzept wollte ich auch einen konkreten Ort schaffen, der mittels hochfunktionaler Räume Analoges und Digitales verschmelzen lässt und den systemischen Rahmen für die Gestaltung neuer Prozesse und innovativer Produkte bildet. So finden sich auf 2.000qm vielfältige Studios, Event- und Produktionsareale mit inspirierender Atmosphäre. Ganz wie in einem Bienenstock. Durch die integrierten Arbeitsbedingungen für Forschung, Lehre und Entrépreneurship ermöglichen wir einen einzigartigen Austausch, ein gegenseitiges Lehren und ein sich gegenseitiges Fördern.
    • Deutlich wird dieses vielleicht schnell am Beispiel der Embeded Game Incubators. Deren Platzierung im Zentrum der Studiolandschaft schafft Vorteile und Potenziale für die Entrepreuer*innen als auch für die Game Design Studierenden und die Forschenden. Gründungs-Teams können in einem gesicherten Rahmen ihre Ideen konkretisieren, sie können die vertraute gemeinsame Infrastruktur nutzen, können von fachlicher Beratung profitieren, sie haben Hunderte von Playtester*innen vor Ort. Studierende wiederum werden für Gründungsoptionen sensibilisiert und durch die Vorbildfunktion der Gründer*innen zu Unternehmungen stimuliert. Durch unsere Curricularisierung eines Entrepreneurship-Mindsets in verschiedene Module können wir bei den Studierenden frühzeitig die notwendigen Kompetenzen für unternehmerisches Denken in einer Vielzahl von Situationen ausbilden.
  2. Generell kreieren Sie gerne innovative Ansätze und setzen sie in die Realität um. Sie forschen z.B. derzeit intensiv im Bereich Game Thinking. Worum handelt es sich hierbei und gibt es einen Bezug zum allseits bekannten Design Thinking?
    • Game Thinking ist ein Mindset – eine Art zu denken, welche auf Wissen und Methoden zur Gestaltung von Spielen basiert. Im Game Thinking werden bestehende Systeme als Spiele deklariert und als Regelwerke betrachtet. Warum nicht mit der Brille der Game Designer*innen Systeme wie Infrastrukturen, Unternehmens- oder Institutionsprozesse und Konzepte oder gestalterische Vorhaben unterschiedlicher Bereiche anschauen? Und anders organisieren!
    • Zunächst werden dem betrachteten System die zugeschrieben Interpretations-Schemata entzogen und durch Game Pattern ersetzt. Durch diese sogenannte Rahmen-Transformation wird das System in ein Spielsystem übersetzt und für eine Neubetrachtung freigelegt. Im nächsten Schritt können die einzelnen Systembestandteile identifiziert und neu bezeichnet werden. Danach folgt die Reformation des Regelwerks, für die Player.
    • Der neue Blick erweitert die Gestaltungsoptionen enorm und eröffnet neue Möglichkeiten zur Optimierung von Systemen hinsichtlich Ökonomie, Feedback, Engagement, Flow oder Pacing. Was in Spielen wichtig ist und funktioniert, ist überall dort wichtig und funktioniert, wo Menschen arbeiten und Ziele verfolgen. Game Thinking ist viel mehr als Gamifizierung. Wir integrieren keine spielerischen Elemente. Wir machen Prozesse spielbar.
  3. Für Lehrende wie Studierende ist momentan alles anders – Vorlesungen und Prüfungen sind in Universitätsräumen nicht möglich. Wie löst die HTW Berlin zurzeit das Problem der Vermittlung von Lerninhalten? Gibt es kreative Konzepte, die in dieser Hinsicht verfolgt werden?
    • So vielfältig wie die HTW Berlin, so divers sind auch die Ansätze und Lösungen, die wir gerade praktizieren. Vorlesungen lassen sich gut in Online-Formate transformieren. Was aber, wenn ein Studiengang nur sehr wenige Vorlesungen hat? Das ist bei künstlerischen Studiengängen häufig der Fall. Diese sind auf die komplexe Vermittlung in den hoch spezialisierten Studios angewiesen. Unsere Herausforderung ist, dies durch neue Formate zu kompensieren. Glücklicherweise verfügt zum Beispiel der Studiengang Game Design über eine komplett digitale Entwicklungs-Pipeline und wir sind auch sonst in der Lage, in kurzer Zeit digitale Produkte und Formate eigenständig zu entwickeln und zu implementieren. Nach einigen Wochen der Distanzlehre fühle ich mich jetzt so sicher, dass ich die Zeit als wunderbare Möglichkeit sehe, Konzepte und Formate zu explorieren, welche hoffentlich auch in der Zeit danach zum Einsatz kommen.
    • Ein Tool habe ich in dieser Zeit wieder besonders zu schätzen gelernt, das kollaborative Whiteboard Miro. Ich würde sagen, wir hacken es gerade, indem wir auf der unlimitierten Fläche Strukturen aufbauen, um Lernlandkarten, Projektkonzeptionen oder Bearbeitungen ganzer Lehrveranstaltungen räumlich auszubreiten und kooperativ mit Kolleg*innen und Studierenden zu bearbeiten, als wenn wir vor einer 20×10 Meter großen interaktiven Planungswand mit Videos und Workshop-Stationen stehen würden. Diese Anwendung und das Partizipative daran möchte ich eigentlich nicht mehr missen. So könnten unsere Experimente zum Katalysator der Digitalisierung werden und die zukünftige Arbeit und Lehre bereichern.
    • Dennoch muss ich sagen, dass der Aufwand und die Begrenztheit der digitalen Kommunikation ein großes Problem für die künstlerische Lehre ist. Der kurze Blick auf einen Monitor im Vorbeigehen, das Gespräch zwischen Tür und Angel, das Prototyping mit analogen Materialien, die lustige Diskussion vor den Planungswänden – all das fehlt. Studierende höherer Semester und Masterstudierende haben so viele Methoden-Kompetenzen erworben, dass die Arbeit eine Weile auch online gut funktioniert. Anders sieht es bei den ersten Semestern im Bachelor aus. Da ist erfahrendes Lernen jetzt nicht möglich. Auch sie sind sehr motiviert und lernen in der Krise erstaunlich viel. Doch da wird auch was fehlen. Ich weiß aus meiner langjährigen Erfahrung, wie viel schneller und intensiver sich Wissen und Kompetenzen in einem gut gestalteten Lern-Environment vermitteln lassen und gedeihen. Dafür habe ich das DE:HIVE konzipiert. Dahin möchten wir mit gewonnen Errungenschaften der Corona-Zeit sobald als möglich zurück.
  4. Ihr Tipp fürs Home Office?
    • Alles, was dem Arbeitstag Struktur gibt, ist gut. Sogar meine Studierenden tauschen sich dazu aus und ein Best Praxis hat mir besonders gut gefallen: Den Weg zur HTW Berlin durch einen Spaziergang oder eine Tour mit dem Fahrrad ersetzen – abends geht es genauso zurück in die Freizeit. Ich persönlich habe mir spielerische Elemente eingebaut und belohne mich in vielen kurzen Pausen mit Aktivitäten, die sonst nicht möglich wären, wie z.B. Bogenschießen. Nach diesem Interview also gehe ich mit Pfeil und Bogen in den Garten…

 

Mai 2020