1. Herr Miller, am 19. August leiten Sie das startup:net-Seminar zum Thema „IPO und Fundraising – Welche Optionen hält der Kapitalmarkt bereit?“ Wie lässt sich der Wert eines Startups überhaupt bemessen? Welche Methoden werden hier angewendet?
    • Nirgends wird so viel gemunkelt und falsch interpretiert, wie bei den tatsächlich gezahlten Kaufpreisen. Der Unternehmer als begnadeter Storyteller mag ausgewählte Investoren abseits von Zahlen und Fakten für ein Investment mit hoher Bewertung begeistern. Allerdings gibt es Einflussfaktoren und Bewertungsparameter, die auf den Unternehmenswert wirken und eine gute Grundlage für eine realistische Preiseinschätzung geben.

       

    • Zwar ergibt sich der rechnerisch richtige Wert aus dem Barwert der künftigen Cashflows – auch Discounted Cashflow-Methode genannt. Allerdings findet bei jungen Wachstumsunternehmen mangels Planbarkeit in der Regel die VC-Methode Anwendung, also die Bewertung vom Exit her gedacht: je jünger das Unternehmen, je risikoreicher also das Investment, desto höher die Renditeerwartung. Der Investor möchte je nach Risikoprofil das drei-, fünf- oder zehnfache seines Investments zurückverdienen. Wenn der Exit für 200 Mio. Euro machbar erscheint und der Investor mit dem Risiko den Faktor 5 auf sein Investment und weitere 25% Verwässerung in Folgerunden erwartet, dann ist für ihn eine Post-Money-Bewertung von 30 Mio. Euro für dieses Investment angemessen.
  2. Sie sind seit 20 Jahren M&A-Berater. Mit M&A ist i.d.R. eine Fusion oder eine Verschmelzung zweier Unternehmen zu einer rechtlichen und wirtschaftlichen Einheit (Merger) bzw. der Erwerb von Unternehmenseinheiten oder eines ganzen Unternehmens (Acquisition) gemeint. Wie werden Unternehmen bei M&A-Transaktionen bewertet?
    • In der M&A-Welt sind Unternehmen bereits reifer und haben relevanten Umsatz oder gar relevante Ergebnisse und diese werden mit branchenüblichen Multiplikatoren aus ähnlichen M&A-Transaktionen und denjenigen der börsennotierten Peergroup multipliziert, verkürzt auch Multiplikator-Methode genannt. Bewerten heißt vergleichen: Hier wird angeschaut, wieviel andere Käufer für eine ähnliche Firma bereits bezahlt haben oder mit welchen Multiplikatoren gerade börsennotierte Unternehmen bewertet sind.

       

    • Diese Vergleiche stoßen allerdings häufig an Grenzen, da sich Unternehmen bei der Art der Umsätze – sind diese etwa wiederkehrend oder einmalig – sowie in Bezug auf Wachstum und qualitative Faktoren unterscheiden. Zudem enthalten die zum Vergleich herangezogenen Transaktionen oftmals Earnout Komponenten, die nicht transparent sind. Die Finanzzahlen werden oftmals um Sondereffekte bereinigt. Hinzu kommt die Frage, auf welches Jahr der Multiplikator bezogen wird – beim Vergleichsunternehmen und auch beim zu bewertenden Unternehmen. Wird ein Unternehmen mit starkem Wachstum im Mai eines Jahres verkauft, dann ist der Multiplikator auf den Vorjahresumsatz wertlos.
  3. Was passiert, wenn die mit der VC-Methode bewerteten Startups auf den Exit-Markt treffen? Worauf muss geachtet werden?
    • Abgerechnet wird beim Exit: Ist das Unternehmen wirklich das wert, was die Investoren in den Finanzierungsrunden als Einstiegswert verhandelt haben und das auch noch mit dem erforderlichen Renditezuschlag? Es sind immer auch Wetten auf Zukunftsmärkte, die erst noch entstehen oder über das Venture erst geschaffen werden. Ist es die richtige Disruption oder nur alter Wein in neuen Schläuchen? Ist das Unternehmen am Ende der Profiteur der Digitalisierung und Effizienzsteigerung oder wird das Geschaffene durch die Big Player oder neuen Marktteilnehmer pulverisiert? Kann das Unternehmen eine Monopolrendite einfahren oder war es nur ein First Mover und wird von der Masse eingeholt? Gelingt es ein echtes Plattformbusiness mit Eintrittsbarrieren aufzubauen oder können die Marktpartner einfach ihren Partner wechseln?

       

    • Diese Fragen müssen sich Unternehmen stellen, aber auch Unicorns können sich noch marginalisieren. In den letzten Jahren hat das Venture Capital-Modell in Europa insgesamt gut funktioniert. Die Fonds haben gute Renditen eingefahren. Das ist aber keine Erfolgsgarantie für die Zukunft. Auch bei einzelnen vermeintlichen Erfolgscases wird es immer wieder Enttäuschungen geben. Wie meinte doch mal ein Venture Capital: „Wer keine Abschreibungen hat, der investiert falsch.“

       

 

August 2020