1. Frau Schröter, ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende entgegen – auch für Sie: Nach 13 Jahren bei der Fraunhofer-Gesellschaft sind Sie in diesem Jahr zum Unternehmen J2C, Journey 2 Creation, gewechselt – und arbeiten zurzeit sogar aus dem Home Office in Indien. Kürzlich haben Sie die MediaTech Hub Conference in Potsdam moderiert und waren live vor Ort. Wie kam es zu diesem Engagement und wie ist es, eine Konferenz ohne anwesendes Publikum zu moderieren?
    • In 2018 und 2019 habe ich bereits die MTHC moderiert, da noch im Duett mit Sven Slazenger von Interlake. Das ergab sich dadurch, dass das Fraunhofer HHI ein Teil des MediaTech Hubs und auch des media.net ist. Das hat mir die letzten Jahre viel Spaß gemacht und ich konnte mit meiner Expertise zu den Themen einen echten inhaltlichen Mehrwert schaffen. Nachhaltig Wert zu schaffen ist auch das Kredo von J2C und so habe ich gerne zugesagt, als mich Peter Effenberg für diese Aufgabe anfragte. Dass ich am Ende nicht nur alleine moderiere, sondern tatsächlich ohne Publikum im Rotor Film Sound Stage stehe, haben wir uns eingangs natürlich nicht vorstellen können.
    • Das war eine völlig neue Erfahrung und eine unerwartete Herausforderung. Wenn man Konferenzen moderiert, spürt man das Publikum, man bekommt sofort Feedback, es ergibt sich dadurch eine für mich faszinierende Dynamik. Die Energie aus dem Publikum hat mir absolut gefehlt dieses Jahr! Daher war ich dankbar, dass ich so ein tolles Aufnahmeteam hatte. Allein für meine Bühne waren bestimmt 12 Personen hinter den Technikpulten, die dafür gesorgt haben, dass alles reibungslos funktioniert und wir live auf die Plattform der MTHC2020 streamen konnten. Ich habe Hochachtung vor jeder Live-Sendung.
  2. Im Vorgespräch sagten Sie, dass J2C Unternehmen bei den Herausforderungen der Digitalisierung hilft und dabei einen großen Wert darauflegt, den Menschen mitzunehmen. Erläutern Sie unseren Leser*innen doch einmal, was es damit auf sich hat. Haben Sie zudem eine erhöhte Nachfrage von Unternehmen in Sachen Digitalisierung feststellen können, seit die Coronapandemie existiert?
    • Wir begleiten Dax 50-Konzerne genauso wie die Familienbäckerei mit 120 Jahren Tradition und 300 Mitarbeitern. All die Unternehmen, mit denen wir arbeiten, seien es Versicherungen, Telekommunikationsunternehmen, bis hin zum Auswärtigen Amt, standen schon vor Covid-19 vor der Herausforderung, ihre internen Abläufe zu digitalisieren. Und genau dabei helfen wir ihnen. Da kommen dann erst mal Schlagwörter wie AGILE und DESIGN THINKING, DESIGN SPRINTS. Erst im zweiten Schritt merken sie, dass es nicht damit getan ist, jetzt SAP einzuführen oder den Außendienst mit neuen Apps auf ihren Tablets auszustatten. Traditionelle Strukturen der Arbeit, die Jahrzehnte lang Standard waren, werden nun in Frage gestellt und dies erfordert ein umfassendes Umlernen. Diese besagten Apps müssen nutzerfreundlich gebaut werden – dafür muss ich die Nutzer*innen, also die Menschen dahinter, aber wirklich verstehen. Mit unserer holistischen Toolbox aus Entrepreneurship, System Thinking, Psychologie, Neurobiologie und Artistic Thinking schaffen wir Empathie für diese Nutzer*innen.
    • Und ja, seit Corona bekommen wir immer mehr Anfragen zu unseren remote Trainings mit digitalen Whiteboards, wir bilden Design Thinking-Moderatoren dafür und damit aus und auch die Nachfrage nach unseren Pitch Trainings ist stark gewachsen: „Wie wirke ich in der Videokonferenz mit Impact?“
  3. Blicken wir nach vorne: Wo sehen Sie weiteren Digitalisierungsbedarf in den kommenden Jahren? Und einmal andersherum: Sind viele Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen nicht mittlerweile überfordert, um nicht zu sagen müde von all den virtuellen Meetings und Events? Wie verändert die Digitalisierung uns als Gesellschaft?
    • Wenn man dieser Pandemie ein Positives versucht abzugewinnen, dann sicherlich, dass die „Digitale Transformation“ in Deutschland einen Schub bekommen hat. Wir haben bei Fraunhofer immer gepredigt, dass so viele Errungenschaften der Digitalisierung, z.B. die Künstliche Intelligenz, in Deutschland ihre Wurzeln haben, aber anderswo die echten Innovationen damit entwickelt werden.
    • Ich habe die Hoffnung, dass mehr Menschen nun den Mut haben werden, die Dinge selber in die Hand zu nehmen und sich nicht damit zufrieden geben nur „Konsument“ zu sein. Wir haben es mit unseren Geschäftspartnern und auch im eigenen System gelernt: Home Office ist ein neuer Standard, der bleiben wird. Sicherlich ist J2C als Unternehmen ohne Hierarchien und festgelegte Arbeitszeiten keine Blaupause für alle Unternehmen, aber wir freuen uns, unsere erprobten Rituale für Work Flow und Gemeinschaft auch bei unseren Kunden einzuführen. Es ist nicht selten, dass wir in remote Workshops zur gemeinsamen Meditation anleiten oder eine Bildschirmpause anordnen und auch analoge Tools einbauen, wie z. B. Journaling: durch das handschriftliche Aufschreiben der Einsichten aus dem Workshop verankern sich diese tiefgreifender als beim Tippen auf einer Tastatur. Die Balance zwischen analog und digital muss tatsächlich erlernt und bewahrt werden und Filme wie „The Social Dilemma“ zeigen auf, welche Gefahr in der blinden Nutzung der Digitalisierung steckt. Aufklärung und die kritische Auseinandersetzung mit den Themen sind der Schlüssel, um die Herausforderungen zu meistern.

 

Dezember 2020