1. Herr Böhning, welche Projekte haben Sie maßgeblich seit Ihrem Amtsantritt gestoßen, welche stehen auf Ihrer Agenda für die kommenden Monate?
    • Wir haben bereits gut gefüllte anderthalb Jahre an Regierungsarbeit in dieser Koalition hinter uns. In dieser Zeit haben wir das Rückkehrrecht von der Teilzeit in die Vollzeit umgesetzt, die KI-Strategie und auch die Nationale Weiterbildungsstrategie im Kabinett verabschiedet. Mittlerweile ist auch das Team der Denkfabrik vollständig und erarbeitet Vorschläge, wie wir die Chancen der digitalen Transformation optimal nutzen und zu guten und sicheren Arbeitsplätzen führen können. Und wir haben noch viel vor. Um nur einige Punkte zu nennen: Bereits im Herbst werden wir Vorschläge zur fairen Gestaltung von Arbeitsbedingungen machen. Dazu wird die Einschränkung sachgrundloser Befristung, die Weiterentwicklung des Arbeitszeitgesetzes und die Schaffung von Rechtssicherheit von mobiler Arbeit gehören. Außerdem wollen wir mit der Umsetzung der europäischen Entsenderichtlinie sicherstellen, dass ausländische Arbeitnehmer in Deutschland zu gleichen Lohnkonditionen und Arbeitsbedingungen beschäftigt werden wie inländische Fachkräfte. So werden wir eine Entlohnungsspirale nach unten verhindern.
  2. Laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie müssten bis zum Jahr 2060 jährlich rund 260.000 qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland ziehen, um den demographischen Rückgang der Beschäftigten und damit verbundenen Fachkräftemangel zu begrenzen. Was muss Deutschland jetzt tun, um mehr Fachkräfte aus dem Ausland anzulocken? Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen braucht es?
    • Niemand kann 40 Jahre exakt in die Zukunft schauen. Neben der Demografie gibt es viele weitere Einflussfaktoren, die valide Prognosen über einen so langen Zeitraum erschweren. Die aktuelle Arbeitsmarktprojektion des BMAS, das Fachkräftemonitoring, deckt daher einen kürzeren Zeithorizont ab, dafür aber mit höherer Prognosesicherheit. So werden bis 2035 etwa 4 Mio. Arbeitsplätze im Vergleich zu heute wegfallen, aber eben auch 3,3 Mio. gänzlich neue entstehen. Innerhalb der nächsten 15 Jahre werden wir also einen enormen Wandel von Tätigkeiten erleben, der zu einer Gleichzeitigkeit von Jobabbau, Jobaufbau und Fachkräftemangel führen wird. Diesen teils paradoxen Wandel werden wir gestalten und mit unserer neuen Fachkräftestrategie begegnen. Dabei liegt unsere Priorität klar auf den inländischen Fachkräftepotenzialen. Deshalb sind Qualifizierung und Weiterbildung heutiger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zentral. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir sind auf qualifizierte Zuwanderung aus Drittstaaten angewiesen. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Bundesregierung hierfür die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen. Im Kern dürfen künftig Fachkräfte aus Staaten außerhalb der EU alle qualifizierten Beschäftigungen ausüben, wenn sie eine anerkannte berufliche oder akademische Qualifikation haben. Maßgebliches Steuerungselement der Fachkräfteeinwanderung ist die wirtschaftliche Nachfrage. Außerdem haben wir die Möglichkeiten zur Arbeitsuche ausgeweitet und wir schaffen leichtere aufenthaltsrechtliche Bedingungen, damit internationale Fachkräfte, z.B. im Pflegebereich, ihren Abschluss in Deutschland anerkennen lassen können.
  3. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt massiv, Tätigkeitsbereiche kommen neu hinzu, verschieben sich, fallen weg. Wie wollen Sie Arbeitnehmer*innen, deren Jobs tatsächlich von Digitalisierung und KI bedroht sind, mitnehmen? Wie gut greifen die von Ihrem Ministerium initiierten und geförderten Weiterbildungspakete, um auch Mitarbeiter*innen mit bspw. geringen Computerkenntnissen, über 50-Jährige oder gering Qualifizierte mitzunehmen?
    • Die Arbeit wird uns auch diesmal durch technischen Fortschritt nicht ausgehen, aber sie wird sich – wieder einmal – verändern, schneller und umfassender als bei vorherigen Transformationen. Für Betriebe und viele Beschäftigte sind in der Tat tiefgreifende Veränderungen zu erwarten. Die zentrale Antwort auf diese Herausforderungen ist Qualifizierung und Weiterbildung.

      Wir haben daher zum 1. Januar dieses Jahres für Beschäftigte die Weiterbildungsförderung durch die Bundesagentur für Arbeit mit dem Qualifizierungschancengesetz erheblich ausgeweitet. Für eine erste Bilanz ist es noch zu früh. Aber sowohl Arbeitsagenturen als auch Jobcenter haben bereits jetzt ihr Förderengagement in der Weiterbildung im Vergleich zum Vorjahr deutlich intensiviert. Außerdem hat die BA für die Weiterbildungsförderung erheblich mehr Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt als bisher.

      Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit Sozialpartnern, den Ländern und der Bundesagentur für Arbeit die Nationale Weiterbildungsstrategie entwickelt, die im Juni vorgestellt wurde. Klares Bekenntnis hier: nur gemeinsam können wir Weiterbildung so organisieren, dass sie in der Breite und gleichzeitig individuell zielgenau unterstützt. Dafür werden wir auch neue Instrumente brauchen, die Unternehmen und Arbeitnehmer in der Transformation schützen. Das ist uns in der Finanzkrise 2007/2008 mit der Kurzarbeit schon gut gelungen. Daran werden wir ansetzen. Sie sehen: auch in dieser Bundesregierung wird uns die Arbeit nicht ausgehen.

 

August 2019

Foto: BMAS