1. Frau Kilinski, Gleichstellung und Vielfalt sind für WestTech Ventures als Investor von großer Bedeutung. Was tragen Sie im Startup-Ökosystem dazu bei und weshalb sehen Sie es als positives Investmentkriterium an, wenn Teams divers aufgestellt sind?
    • Der Anteil weiblicher Gründer*innen betrug dem Deutschen Startup Monitor (DTS) zufolge im letzten Jahr 15,7%. Und auch was die Höhe des eingeworbenen Kapitals angeht, lagen weibliche Gründer*innen zurück. So haben nur 5,3% der weiblich geführten Teams mehr als 1 Million € an Risikokapital erhalten, versus 27,8% bei den männlich geführten Teams (Quelle: Female Founders Monitor). In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass auch auf Investorenseite Frauen stark in der Unterzahl sind, was zu der ungleichen Verteilung beiträgt (Quelle).

       

    • Mangelnde Diversität bedeutet Unterrepräsentation weiter Teile unserer Gesellschaft, zugunsten einer Gruppe, die überdurchschnittlich viel Kapital und Einfluss vereint. Das ist nicht nur politisch problematisch. Im Hinblick auf Startups führt es tendenziell dazu, dass neue Produkte aus der immer gleichen und insofern selbst-referentiellen Perspektive heraus entwickelt werden. Quasi Zirkelbezüge in der Innovation.

       

    • Vor dem Hintergrund ist Diversität im Startup-Ökosystem der Schlüssel, um Märkte zu adressieren, die bislang vernachlässigt oder schlicht übersehen wurden. Wer in diesem Bereich Diversität fördert, tut dies neben jedweder Motivation auch aus wirtschaftlicher Weitsicht. Allein darum macht es für uns bei WestTech Ventures Sinn, bewusst darauf zu achten, mit weiblich geführten Teams zu sprechen, und die Diversität des Teams positiv in unsere Investmententscheidungen einzubeziehen.

       

    • Im Umkehrschluss kann man bei Fonds, Panels und Unternehmen, die immer noch rein männlich besetzt sind, schon einen Appell formulieren, sich die eigene Verantwortung in dem geschilderten Zusammenhang bewusst zu machen.
  2. Sie haben kürzlich in Witty investiert, einem AI-basierten Writing-Assistant, der nicht nur Grammatik korrigiert, sondern auch Sprachregeln umsetzt. Erzählen Sie uns bitte etwas zu diesem Projekt und seinen Besonderheiten.
    • Die Software Witty ist eine Autokorrektur, die diskriminierungsfreies und korrektes Schreiben auf Englisch und Deutsch ermöglicht. Um das Problem zu umreißen, welches dabei adressiert wird: Im beruflichen Kontext wird inklusive Sprache als job-relevante Qualifikation zunehmend vorausgesetzt.

       

    • Einige Mitarbeitende haben Schwierigkeiten das umzusetzen, da ihnen schlicht das Wissen oder die Intuition fehlt, um sich von historischen Sprachformen zu lösen, die sich über Jahrzehnte eingeschliffen haben. Witty lässt sich als PlugIn im Browser installieren und überprüft dann in Echtzeit alle schriftlichen Eingaben auf Grammatik, Orthographie, Tonalität. Wenn nötig macht Witty Formulierungsvorschläge nach inklusiven Sprachregeln. Im Unternehmen haben so alle Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich korrekt, inklusiv und gender-neutral auszudrücken.

       

    • Die interne und externe Kommunikation wird ohne großen Aufwand wesentlich professionalisiert, auch dadurch, dass corporate language rules, wie z.B. bestimmte Schreibweisen von Firmennamen, voreingestellt werden können. Das Besondere an Witty ist, dass ein Team eine technologische Antwort auf ein Problem mit struktureller Tragweite und politischer Dimension gefunden hat.
  3. Das Diversitäts-Thema hat in den vergangenen Jahren eine dynamische Entwicklung genommen. Wie wird das Thema Ihrer Meinung nach in den kommenden drei bis fünf Jahren in der Wirtschaft verankert sein – gerade auch im Startup-Segment?
    • Femtech, als Subkategorie von HealthTech, ist da ganz spannend. Der Gender Gap spiegelt sich nämlich auch in der Gesundheitsversorgung und Forschung wider. Der globale Anteil der Forschungsfinanzierung für Female Healthcare Research liegt bei nur 4%, um ein Beispiel zu nennen (Quelle). Entsprechend groß ist das Potential für Lösungen, die sich gezielt an Frauen richten, um diesen Gap perspektivisch zu schließen.

       

    • Die Verteilung des Kapitals ist jedoch auch im Health/Med-Bereich sehr ungleich: In den ersten drei Quartalen diesen Jahres wurden global $34Mrd in HealthTech investiert, was an sich eine Rekordsumme ist. Nur 20% davon gingen jedoch an weibliche Gründer*innen (Quelle).

       

    • Zumindest in Deutschland überwiegen die weiblichen Gründer*innen im Medizin- und Gesundheitswesen um das fast dreifache. Das heißt vorsichtig ausgedrückt, dass wir in den kommenden Jahren im Gesundheits- und Medizinbereich wahrscheinlich mehr Produkte sehen werden, bei deren Entwicklung die weibliche Perspektive eine tragende Rolle gespielt hat. Vorausgesetzt, diese Startups finden Investor*innen, die bereit sind sie zu begleiten. Man kann abschließend festhalten, dass ausreichend Kapital in den Bereichen MedTech und Digital Health vorhanden ist und, zumindest in Deutschland, viele Gründerinnen in den Startlöchern stehen. Der Ball liegt jetzt also bei uns Investor*innen.

       

 

Dezember 2021

Bild: (c) Benjamin Wuttke