1. Herr Dr. Bäumer, Ihr Unternehmen hat sich der Digitalisierung des Personalwesens verschrieben. Sie beraten viele mittelständische Unternehmen sowie Konzerne. Was verändert die Digitalisierung in unserer Arbeitswelt? Welche Potenziale gibt es, die es auszuschöpfen gilt?
    • Aktuell sprechen wir ja eher darüber, wie Corona die Arbeitswelt verändert. Aber das gehört natürlich zusammen. Sicherlich gibt es nicht viel Positives über die aktuelle Situation zu berichten. Außer vielleicht, dass sie der Digitalisierung im Arbeitskontext einen erheblichen Schub verpasst hat. Flexibilität, Agilität, gesteigerte Produktivität und Motivation, all das sind Folgen der Digitalisierung, von denen viele Unternehmen nur theoretisch erfahren haben, weil sie den Schritt in Richtung virtuelle Zusammenarbeit oder digitale Prozesse nicht gewagt oder bis dato nicht bewerkstelligt haben. Gerade die Agenturwelt lebte ja eine starke Präsenzkultur und arbeitet im Personalbereich gern auch noch mit Excel. 
    • Nun gilt es, den Schwung nicht zu verlieren, wenn Mitarbeiter merken, wie viel Drive es ihnen verpasst, wenn sie an drei von fünf Tagen von zu Hause aus arbeiten und Führungskräfte feststellen, dass nicht immer alle Mitarbeiter*innen ständig vor Ort sein müssen, um einen guten Job zu machen. Aber hier warten schon neue Herausforderungen: Wie fördere ich die digitalen Skills meiner Mitarbeiter*innen? Wie gelingt Wertschätzung remote? Wie hole ich neue Leute an Bord, die ich nicht treffen kann und die vielleicht auch gar nicht regelmäßig ins Office kommen können? Wir beschäftigen uns mit den Potentialen, die die Digitalisierung HR bietet. Dabei setzen wir in erster Linie auf unsere Erfahrungen im Bereich Kommunikation und Diagnostik – und natürlich unsere Begeisterung für HR und digitale Tools.
  2. Die Coronakrise hat viele Unternehmen auf verschiedenen Ebenen vor große Herausforderungen gestellt. Auch das Recruitment und Onboarding läuft in Zeiten einer Pandemie anders als gewohnt. Welche Vorgehensweisen empfehlt Ihr Unternehmen hierbei? Wie lassen sich diese Prozesse trotz allem sinnvoll und effektiv gestalten?
    • Mittlerweile hat man sich ja daran gewöhnt, die Wohnzimmereinrichtung der Teammitglieder im Hintergrund zu sehen. Das hält uns aber nicht davon ab, ihre Arbeit wertzuschätzen und uns auf die Zusammenarbeit zu konzentrieren, wenn es darauf ankommt. Diese Haltung lässt sich auch auf das Job Interview übertragen. 
    • Die Tatsache, dass ein Bewerber oder eine Bewerberin uns nicht in den eigenen Räumen am Tisch gegenübersitzt, sondern im Wohnzimmer, sollte nicht dazu führen, dass wir den Kandidat*innen die Befähigung absprechen. Sicher, uns fehlen in der Remote-Situation einzelne Eindrücke, zum Beispiel das persönliche Auftreten beim Betreten eines Raums oder die Interaktion mit Dritten. Aber ein Videogespräch befreit auch von Vorurteilen, wenn zum Beispiel die Kleidung nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, weil man sie ohnehin nur zur Hälfte erkennen kann. Es ist sogar nachvollziehbar, dass remote Interviews mögliche Vorurteile und Verzerrungen reduzieren. 
    • Für uns HRler ist es noch wichtiger als im persönlichen Gespräch, den Bewerber*innen gegenüber eine noch größere Verbindlichkeit auszustrahlen, denn ein Gespräch vor einem Screen ist eben doch etwas unpersönlicher als der direkte Austausch. Ein Set an klar definierten Fragen, das die wichtigsten fachlichen und Soft Skills abdeckt und genügend Raum für Austausch sind die besten Voraussetzungen dafür, dass ein remote Job Interview gelingt und auch als Auswahlinstrument taugt. 
    • Und für das Onboarding gilt, je besser die Planung und Vorbereitung, umso geringer die Enttäuschung auf beiden Seiten. Der virtuelle Einstieg in einen Job führt Defizite noch klarer zutage. Es sollte also ganz klar sein, was die Neuen im Team brauchen, um arbeitsfähig zu sein und auch remote anzukommen. Verbindlichkeit lautet auch hier die Devise: Wer ist ansprechbar und hilft bei Problemen? Am besten nominiert man einen Kollegen, der eine Art Mentorenfunktion übernimmt. Mittlerweile gibt es eine Menge spannender Tools für das Onboarding. Zum Beispiel können Chatbots einen neuen Mitarbeitenden wie ein Assistent in der Onboarding-Phase unterstützen, Orientierung bieten, offene Fragen beantworten, auf wichtige Dinge hinweisen und alle Termine organisieren. Auch das Zwischenmenschliche sollte nicht aus dem Blickfeld geraten, es droht am ehesten unterzugehen, wenn man sich nur am Screen trifft. Ob man Blind Dates mit Kolleg*innen organisiert oder kleine Willkommenspakete per Post versendet, Hauptsache das Gegenüber fühlt sich wahrgenommen.
  3. Blicken wir etwas weiter nach vorn: Wie sieht die Zukunft von HR aus? Was wird sich in den kommenden Jahren verändern, was gleichbleiben?
    • HR wird immer weiter aus seiner Verwaltungsecke herausrücken. Unternehmen erkennen, dass Personalgewinnung und -verwaltung allein nicht ausreichen, um in einer neuen Arbeitswelt bestehen zu können. HR kann einen wertschöpfenden Beitrag leisten, indem es digitale Kompetenzen im Unternehmen fördert, Veränderungsprozesse begleitet und in strategische Überlegungen eingebunden wird. Der Bewerbermarkt verändert sich immer mehr. Neues Arbeiten ist nicht mehr nur eine Modeerscheinung, sondern will aktiv gelebt werden. Auch hier ist HR gefragt, bestehende Strukturen zu überdenken und im Unternehmen attraktive Formen der Zusammenarbeit zu etablieren.

 

Oktober 2020