1. „We drive change through data“ heißt es auf Ihrer Homepage. Herr Mayer, Ihre Agentur pflegt einen radikal anderen Umgang mit Daten. Sie arbeiten für deutsche und internationale Unternehmen, die sich trauen, Neues auszuprobieren. Was können wir uns darunter vorstellen? Worin unterscheiden Sie sich im Vergleich zu anderen Datenanalysten?
    • Der Unterschied fängt schon beim Verständnis von Daten an. So werden „Daten” im Mainstream der Marketing- und Medienbranche gerne mit den Daten gleichgesetzt, die Cookie-basierte Tracker aufnehmen. Das sind personalisierte Daten, die jede Menge über den individuellen Internetnutzer verraten: woher er kommt, worauf er zuvor geklickt hat, wie viel Zeit er wo verbringt. Diese Daten werden vor allem für die Optimierung von Kampagnen genutzt, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele User auf irgendeinen nervigen Werbebanner klicken. Da hört schon der Großteil aller Datenanwendungen auf. So verwundert uns auch nicht, wenn Unternehmen in Studien immer wieder behaupten, keine relevanten Erkenntnisse durch Daten gewinnen zu können – bleiben doch die strategischen und explorativen Qualitäten von Daten mehr oder weniger unangetastet.
    • Hier kommt unser Ansatz ins Spiel. Statt auf die individuelle Klickstrecke setzen wir ähnlich wie klassische Marktforscher den Fokus auf das Konsumverhalten der Zielgruppe. Wir befragen sie allerdings nicht, sondern machen uns die digitalen Spuren zunutze, die sie im Internet hinterlässt, insbesondere in Form von Such- und Buzzdaten. Auf diese Weise finden wir unter anderem heraus, was Konsumenten gerade bewegt, was sie über bestimmte Themen und Marken denken und welchen Content sie gut finden. Das erlaubt es uns, den Kunden klar zu sagen, auf welchen Kanälen es sich überhaupt lohnt, Werbung zu schalten, und welche Art von Content es sein sollte. Letztendlich können unsere Kunden so ihr Marketing nicht nur effizienter, sondern auch effektiver und kundenzentrierter ausrichten. Werbung wird weniger überflüssig. Genau dafür steht „We drive change through data“.
  2. TD Reply ist es wichtig eine soziale Relevanz zu wahren. Dafür wurde bspw. die Initiative „Pro Bono“ gegründet. Worum handelt es sich dabei?
    • Zunächst sollte man wissen, dass TD Reply als ein akademisches Projekt geboren wurde und als solches muss es ja grundsätzlich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch sozial relevant sein. Im Jahre 1999 tat ich mich noch als Student der TU Berlin mit den Konsumentenverhaltensforschern Prof. Dr. Trommsdorff und Prof. Dr. Drüner – unseren Namensgebern – zusammen, um neue Marktforschungsansätze zu entwickeln, doch auch mit dem Anspruch, etwas Positives zur Gesellschaft beizutragen. Und sei es nur, Werbung weniger nervig zu machen. Daraus entstand dann schnell eine erfolgreiche Beratung.
    • Der akademische Geist durchzieht das Unternehmen aber bis heute und die Initiative „Pro Bono” ist eine direkte Folge davon. Diese Initiative wurde von einer Gruppe unserer Mitarbeiter ohne Zutun der Unternehmensführung gegründet, um unsere Datenexpertise wohltätigen Organisationen kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Wir zeigen ihnen dabei, wie sie mithilfe auch von kostenlosen Tools und Plattformen und teilweise auch völlig ohne technisches Vorwissen Daten für sich nutzen können, um ihre wohltätige Arbeit noch besser zu machen. Das geschieht im Rahmen von Workshops, Online-Webinaren und anderen Formaten. Dadurch lernen wir auch selbst jede Menge, beispielsweise wie wir eine Data-Thinking-Kultur in Unternehmen möglichst effektiv implementieren können. In letzter Zeit kamen noch einige andere Projekte hinzu, wie die Entwicklung einer Diabetes-App, die mittels Predictive Analytics Blutzuckerspiegel voraussagen kann.
  3. Als Spezialist für Datenanalysen sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Coronakrise und verbesserungswürdiger Vorhersagemodelle. Darüber haben Sie in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel Anfang Mai referiert. Hat sich seitdem etwas seitens der Regierung und der Experten verbessert? Sehen Sie z.B. die Corona-App positiv oder kritisch?
    • In dem Gastbeitrag forderte ich vor allem einen Diskurs darüber, wie wir Daten und Vorhersagemodelle endlich effektiv beim Management von Krisen und Pandemien wie Corona einsetzen können. Und vor allem: Wie wir es schaffen, eine einheitliche Datenbasis bei der Erhebung von Fallzahlen, Symptomatiken und demografischen Daten zu entwickeln, damit die Vorhersagemodelle möglichst genau werden. Allerdings hat sich seitdem tatsächlich einiges zum Guten geändert, was sich unter anderem an der Corona-App zeigt. Denn sie trägt natürlich deutlich zur Entstehung einer solchen einheitlichen Datenbasis bei. 
    • In Zukunft müssen wir aber einen viel regeren Diskurs zur Rolle von Vorhersagemodellen in Krisenfällen führen, auch auf globaler und europäischen Ebene. Zudem muss es auch zwischen denjenigen, die Vorhersagemodelle produzieren, einen aktiveren Expertenaustausch geben. Irgendwann wird eine ähnliche Krise kommen und dann wäre es gut, auf einen möglichst großen Pool an brauchbaren Daten und Modellen zurückgreifen zu können, um neue Modelle zu entwickeln, mit derer Hilfe diese Krise effektiver bewältigt werden kann.

 

Juli 2020