1. Mit dotBERLIN bist Du seit 2002 im media:net aktiv. Die Einführung der Top-Level-Domain (TLD) war ein langer, harter, internationaler Kampf. Man mag es kaum glauben. Mit Deiner Idee einer Städtedomain warst Du leidenschaftlicher Vorreiter, Vorbild für viele. Dirk, welche Werte und Eigenschaften braucht Berlin, brauchen Berliner Unternehmer*innen?
    • Wir waren in der Tat weltweit Vorreiter für die Städte-Endungen, wie sie mit .berlin, .london oder .nyc heute nicht mehr wegzudenken sind. Das hört sich toll an, aber Vorreiter, sei es nun bei Lieferdrohnen, Wassertaxis, Teledoc oder unverpackten Lebensmitteln, müssen häufig erst einmal einen rechtlichen Rahmen für ihre Idee schaffen. In unserem Fall waren das zahllose Gutachten, aber auch Überzeugungsarbeit in der Politik bis hin zu Gesetzesänderungen, die fast unser gesamtes Crowdfunding aufgezehrt haben. Ohne die von uns Gründern verinnerlichte Vision, die uns leidenschaftlich an unser Unterfangen hat glauben lassen, hätten wir es nicht durchgehalten. Zudem hat .berlin definitiv einen „Good Cause“, weil wir auch heute noch überzeugt sind, dass wir unserer innig geliebten Stadt Berlin und den Berlinern damit etwas Dauerhaftes zurückgeben – als Danke für das, was Berlin uns gibt: Freiheit, Heimat und Inspiration. Neben der Passion waren Bescheidenheit und Hartnäckigkeit weitere wichtige Werte. Wir haben in den vielen Jahren bis zum Launch kleine Brötchen gebacken, beim Gehalt, aber auch privat.Ich werde häufiger von angehenden Gründern gefragt, ob ich keine Angst hatte, dass es schief geht. Ich sage dann: „Wenn Du keinen Mut mitbringst, dann lass sein“. Wenn Du es machst, dann geh es an wie Pipi Langstrumpf: „Das habe ich noch nie probiert, also geht es sicher gut“.
  2. Nach Tokio und New York – mit 10 Mio. bzw. 8,3 Mio. Einwohnern – steht die TLD .berlin an Nummer Drei, lese ich. Dirk, was bringt eine .berlin Domain für mein Unternehmen?
    • Wir haben diejenigen gefragt, die eine der rund 50.000 .berlin-Internetadressen besitzen. Und sie sagen in erster Linie: weil ich mich und das, was ich mache, mit Berlin identifizieren will, weil Berlin ein Markenzeichen für mein Produkt oder Geschäft ist und weil das eine coole Adresse ist. Die auch validen Argumente nach einer Wunschadresse und die tatsächlichen Rankingvorteile bei Google sind für die meisten nachrangig. Auf jeden Fall haben Berliner Unternehmen mit .berlin ein digitales Alleinstellungsmerkmal, das ihnen im Wettbewerb Vorteile bringt.Im Stadtbild ist Dauerwerbung mit www.palast.berlin, www.be.berlin, www.fuechse.berlin, www.volksbuehne.berlin und www.sbahn.berlin nicht mehr wegzudenken. Fast täglich entdecken wir neue .berliner auf Autos und LKWs, auf Plakaten, bei Instagram oder in der Presse. Wenn jemand etwas Neues in Berlin macht, dann ist die .berlin-Internetadresse schon die erste Wahl. Schließlich bekommt man .berlin beim Internetprovider gleich neben .de und .com angeboten. In der vor kurzem veröffentlichten Studie „Digitale Stadtmarken“ wurde untersucht, wie Digitale Stadtmarken im internationalen Vergleich abschneiden. Hier belegt .berlin auch in der 2019er Auflage wieder Platz 1, was beweist, dass nicht allein die Zahl der Registrierungen den Erfolg einer digitalen Stadtmarke bestimmt, sondern dass verschiedene Faktoren dabei eine Rolle spielen, wie z.B. die Anzahl der bei Google gelisteten Webseiten.
  3. Wo siehst Du das (digitale) Berlin in 5-10 Jahren?
    • Darüber machen wir uns viele Gedanken. Ich persönlich nehme an, dass wir in 5-10 Jahren ganz viel mit Sprache machen werden und die Screens unserer Mobilgeräte entsprechend angepasst sind, z. B. als Wearables in der Kleidung, auf der Haut, der Kontaktlinse oder wahlweise Brille. Persönliche Assistenten werden uns durchs Leben begleiten – dazu gibt es übrigens mit „Date in 2025“ ein nettes Kurzfilmchen.Hart wird auf jeden Fall der Kampf um Privatheit und Daten geführt werden. Gut stehen wir bei diesem Thema aber heute nicht da: Für die kleinste Annehmlichkeit geben Menschen leider alles Mögliche preis, das zeigen gerade die aktuellen Usability-Studien. Hier gilt es ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Privatsphäre, Datenschutz und Usability, zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu erarbeiten.Persönlich glaube ich, dass Berlin sich in 10 Jahren deutlich mehr „seamless“ anfühlen wird, weil viele Produkte und Dienstleistungen vernetzt sind: Ich gehe morgens aus dem Haus, die Wohnungstür schließt automatisch ab, die BVG erkennt mich als Fahrgast, beim Bäcker liegt wie üblich das Croissant für mich bereit und ich bezahle bargeldlos und berührungsfrei. Meine Steuererklärung mache ich per Klick in 5 Minuten fertig, weil alle Daten digital vorliegen und ich nicht mehr mühsam die Kopien aus dem vergangenen Jahr zusammensuchen muss.Big-Data-Anwendungen unterstützen uns, mit Ressourcen besser umzugehen – von der Verteilung überschüssiger Lebensmittel über Jobs bis hin zu Mobilitätsangeboten und alltäglichen Gebrauchsgegenständen wie Bohrmaschine, Scanner und Eismaschine. Das Digitale wird unsichtbarer sein als heute, wo Hersteller digitale Produkte und Services auch gerne als Fortschritt und coole Sache sichtbar machen wollen, z.B. über ein auffallendes Design.In 10 Jahren werden wir wegen „Gravitation is a Bitch“ zwar keine fliegenden Autos in Berlin haben, dennoch aber eine Vielzahl von hybriden Fahrzeugen mit 1 bis 6 Rädern. Sie tragen dazu bei, dass Berlin leiser und grüner wird.

 

Juli 2019

Foto: dotBerlin