Mai 2018

„Die eine Hälfte hat gesagt: Wow, du bist verrückt. Die andere Hälfte hat gesagt: Das wollte ich auch schon immer machen“ leitet Natacha ihren Vortrag ein. Sie ist die Gründerin von Freche Freunde und Speakerin beim 6. DWOMEN-Event – Women in Digital Business.

Als die Einladung zur Speakerin gekommen ist, habe sie erst überlegen müssen. Natacha Neumann lacht.  Sie, eine Digital Women? So genau kann sie das nicht bestätigen, aber eine Gründerin, die für ihre Produkte lebt und sich als „Mission Driven“ bezeichnen würde, das ist sie.

Mit ihrem Unternehmen erdbär GmbH bringt sie die Bio-Kinder-Snacks „Freche Freunde“ mit Spaßfaktor in die Supermärkte. Dahinter steckt die Idee, Kinder spielerisch für gesunde Ernährung zu begeistern und Eltern eine gesunde Alternative zu den Schokoriegeln in der  „Quengel-Zone“ der Supermärkte anzubieten.  Die Produkte mit den Obstgesichtern auf den Verpackungen finden sich mittlerweile deutschlandweit in den Supermarkt-Regalen, aber der Einstieg ins Retail-Geschäft war ein weiter Weg.

Vor ihrem Leben als Gründerin war sie in großen Pharmakonzernen für Consumer Health Care und dazugehörige Produktpaletten wie Zahnpasta oder Drinks zuständig. Wenn Natacha die bisherigen Stationen ihres Lebenslaufs aufzählt, ertappt man sich schnell dabei, heimlich ihr Alter nachrechnen zu wollen:

Während eines Sommerurlaubs im Heimatland Frankreich geboren, die Eltern lebten damals in Saudi Arabien, hat sie von klein auf die Welt gesehen und war selten länger als zwei Jahre an einem Ort. Etwas, was sie im Rückblick als Bereicherung empfindet. „Es hat mir die Welt geöffnet. Neue Kulturen gezeigt. Ich bin anpassungsfähig, nicht nur in Ländern, auch in sozialen Kreisen. Selbst in Hotels sage ich nach zwei Tagen, ich gehe nach Hause, auch wenn ich nur ins Hotelzimmer zurückgehe.“

Später folgten Internationales Abitur, Bachelor-Abschluss in London, Master in London sowie in Barcelona, dann erste Anstellung in Irland, später ließ sie sich nach Mexiko versetzen, wo parallel auch ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann für Nestlé tätig war.

Dort beschloss sie nach fünf Jahren Festanstellung: Genug, etwas Eigenes soll her, obwohl ihr der Job Spaß machte. Aber sie hat sich immer öfter umgesehen und für sich festgestellt: „die Karriereleiter, das war es irgendwie nicht. Ich möchte etwas, was mich bewegt.“

Das sie dabei nicht lange gezögert hat, nimmt ihr sofort jeder ab. Es folgte die Kündigung, ohne den Plan für die nächste Aufgabe bereit zu haben. Sie sammelte Ideen, entwarf ein Retailkonzept für eine Salatbar und verwarf es wieder, startete einen Blog über gesunde Ernährung und fing auch langsam an, ihren Mann mit der Idee eines eigenen Unternehmens zu überzeugen. Wir haben dann beschlossen „Wir machen das jetzt zusammen.“

In dem Prozess der Gedankenspielerei entstand die Idee für die gesunden Kindersnacks. Obwohl sie selbst damals (noch) keine eigenen Kinder, nur zahlreiche Neffen und Nichten hatten, wuchs die Idee zu einem handfesten Konzept an.

2010 fiel der offizielle Startschuss für „Freche Freunde“. Dafür ging Natacha strategisch vor. Von wo aus wollten sie gründen? Ein Aufenthalt in Berlin während des Sommers brachte die Entscheidung: Berlin sollte es werden. Dabei saßen die ersten Kunden eher in der Pfalz, nicht nur Supermärkte sondern auch Logistikdienstleister. Aber die Stadt überzeugte mit lauen Sommernächten, Bars, Straßencafés und ihrer Atmosphäre. Berlin wurde zu einer rein privaten Entscheidung. Heute empfindet sie den Standort auch wegen des internationalen Startup-Netzwerks und den Mitarbeitern als wertvoll.  In der Anfangszeit erwies sich der Handel als hart. Lebensmittelstartups gab es bis dato kaum. Während heute Suppenanbieter, Lunchboxen, Lieferservices, Kochboxen aus dem Boden schießen, war damals der Markt nicht dafür offen. „Könnt Ihr bitte noch etwas mehr digital in den Business-Plan packen“ war die Frage, wenn sie bei Investoren anklopften. Die beiden bewiesen einen langen Atem und produzierten mit eigenen finanziellen Ressourcen ohne Investoren und Business Angels die erste Produktlinie komplett selbst.

„Wir haben am Anfang gedacht, wir machen einfach, wir trauen uns. Wir hatten 200.000 Produkte ohne Kunden, haben an jede Tür geklopft.“ Was zum Durchhalten motivierte war das positive Feedback und ein erster kleiner Kundenstamm, darunter einige Biomärkte.

Aber  es gab auch Rückschläge: In einer frühen Phase kam die Zusage eines großen Kunden über Abnahme großer Mengen. Freche Freunde ließ Unmengen vorproduzieren und blieb plötzlich auf einem Warenberg sitzen, als der Großkunde die Bestellung zurückzog. Um aus der Not eine Tugend zu machen und nicht auf Lagerkosten der unbezahlten Ware sitzen zu bleiben, gingen die beiden einen Deal mit der Deutschen Bahn ein. Diese bot den kleine ICE-Kunden drei Monate lang die Snacks als Give Away während der Bahnfahrten an. Zusätzlich nutzen sie Events, um die Produkte kostenlos zu verteilen und damit immerhin vom Marketing zu profitieren. Der lange Atem zahlte sich aus und die Aktion erwies sich letztendlich als erfolgreiche Werbung.

Der Kundenstamm wuchs und in 2013 kam Freche Freunde dank einer erfolgreichen Crowdfunding Kampagne noch mehr ins Rollen. Immer mehr Supermärkte nahmen die Produkte ins Programm. Die Produktpalette wurde ständig erweitert. Mittlerweile veranstaltet das Unternehmen Kochkurse und produziert Bildungsmaterialien rund um das Thema gesunde Ernährung.

Natacha ist mittlerweile für die Integration und den Kommunikationsfluss zwischen allen Teams zuständig. Am Anfang hat sie sich vermehrt um die Bereiche Marketing und Entwicklung gekümmert. So entstanden das Grafik- und Verpackungsdesign aus ihrer eigenen Feder und sind heute noch inhouse und nicht bei einer Agentur angedockt. Das gibt den Frechen Freunden den naiven Charme. „Es gehört zur Markenpersönlichkeit, dass es nicht überdesignt und hochprofessionalisiert rüberkommt“ sagt sie. Auch wenn sie sich selbst nicht direkt als DWOMEN – digitale Unternehmerin bezeichnen würde, digitalisiert sich die GmbH immer mehr. Richtig findet sie die Bezeichnung als Unternehmerin, die auch im Digitalgeschäft ist. Sie sind nicht digital first, aber sie digitalisieren. Mittlerweile läuft viel über Online-Handel.

Heute ist Freche Freunde auch Teil des Familienlebens und Natacha, neben ihrer Gründerinnenfunktion, auch dreifache Mutter. Mit dem Wort Work Life Balance kann sie nicht wirklich etwas anfangen. Für sie gehen Arbeit und Privates ineinander über. Nicht nur, weil beide Unternehmens- als auch Ehepartner sind, sondern auch, weil ihr die Arbeit Spaß macht und nicht getrennt werden muss. Selbst mit den Kindern sprechen sie über die Produkte, lassen sie teilnehmen. Die sind wiederrum stolz, dass Mama und Papa die „Chefs von Freche Freunde“ sind. Aber der Wachstum und die zunehmende internationale Expansion verlangen viel Terminkoordination ab: nicht nur mit den eigenen Terminkalendern, sondern auch mit dem der Nanny. Zusammen als Geschäftspartner reisen ist schwer, „würden wir gern öfter machen, hätten wir nicht beide die gleichen Kinder.“

Hat sie privat noch Hobbys und Zeit dafür? „Ja, klar. Das wäre doch traurig, wenn nicht.“ Sie geht zweimal die Woche laufen und kocht gern. Mittlerweile gibt es sogar schon ein Freche Freunde Kochbuch. Die Botschaft gesunde Ernährung und Spaß zusammenzubringen, liegt ihr auch neben dem  Unternehmensalltag weiterhin am Herzen.

Text: Christine Lentz

Über die DWOMEN – platform for women in digital business:

MCB_D-WOMEN-Logo_quer-schwarzMit der Initiative DWOMEN laden Sonja Kardorf, Vorstandsmitglied der IBB, und Andrea Peters, Vorstandsvorsitzende des media:net, zwei Mal jährlich inspirierende Frauen aus der Digitalwirtschaft zum vernetzenden Frühstück. Impulse gaben bereits Joana Breidenbach, Stephanie Caspar, Verena Pausder,  Lea-Sophie Cramer und Nora Beckerhaus Im Dezember 2017 erzählte Natacha Neumann ihre Geschichte. Die nächste Ausgabe findet im  zweiten Halbjahr 2018 statt.